Innovation4E

Gebäude digital – Teil 2: Nachhaltig sanieren, effizient bauen

Mithilfe von Technologien wie Internet of Things (IoT), künstlicher Intelligenz (KI) und Big Data können Gebäude effizienter und nachhaltiger betrieben werden. Auch energetische Sanierungen und der Neubau von Wohnungen lassen sich durch digitale Prozesse wesentlich beschleunigen. Das Fraunhofer ISE forscht in verschiedenen Arbeitsgruppen zu digitalen Anwendungen im Bauwesen, den damit verbundenen Herausforderungen sowie Lösungen für Handwerk und Betriebe. Welche Chancen eröffnet die Digitalisierung für eine grüne Transformation des Gebäudesektors? Angesichts der zunehmenden Relevanz des Themas startet Innovation 4E eine dreiteilige Interview-Serie. Für den zweiten Teil haben wir mit Mona Mühlich über digitale Bauplanungsprozesse gesprochen. Die Wissenschaftlerin promoviert seit September 2023 im Forschungsbereich Digitalisierung und Automatisierung von Bauplanungsprozessen am Fraunhofer ISE.

Du bist Doktorandin am ISE und forscht im Rahmen des Fraunhofer Leitprojekts „Bau-DNS“ zum Thema serielle Sanierung. Worum geht es in diesem Projekt?

Die Leitprojekte der Fraunhofer-Gesellschaft entstehen in Kooperation verschiedener Tochterinstitute und dienen dem Anschub von Industriekooperationen, um innovative Ideen zügig auf den Markt zu bringen. Das Leitprojekt Bau-DNS zielt dem Namen nach auf eine digital, nachhaltig und durch systemische Fertigung gekennzeichnete, energetische Sanierung von Gebäuden. Wir möchten den Sanierungsprozess deutlich effizienter, produktiver und kostensparender gestalten, um die aktuell sehr niedrige energetische Sanierungsquote von unter 1% auf die zum Erreichen der Klimaziele nötigen 2% zu erhöhen. Das Fraunhofer ISE befasst sich hierfür vorrangig mit Digitalisierungsvorgängen innerhalb des Planungsprozesses und Ansätzen systemischen Bauens, in unserem Fall mit der Entwicklung flexibel installierbarer BIPV-Module für Fassaden. Mein Schwerpunkt liegt auf dem Thema Bauplanungsprozesse am Beispiel von vorgefertigten Fassadensystemen für die serielle Sanierung.

Beispiel Gebäudefassade: Welche Vorteile bringen digitale Prozesse bei der seriellen Sanierung?

Im Bauplanungsprozess stellen Fassaden besonders komplexe Gebäudeelemente dar, da sie gleich mehrere Gewerke binden. Am Fraunhofer ISE forschen wir seit Jahren intensiv zu BIPV-Fassaden, d.h. aktiven Bauelementen. Bei der Installation solcher Fassaden müssen Vorfertigung, mechanische Befestigung und Elektrotechnik notwendigerweise ineinandergreifen. Im Bereich der Vorfertigung passiert bereits sehr viel. Es gibt Firmen, die einen komplett vorgefertigten Wandaufbau liefern können, inklusive Fenstern und Rohren. Wir hingegen versuchen, mit einer modularen Bauweise zwischen eine Fertigung vor Ort und solche Komplettlösungen zu gehen, indem wir z.B. Teilelemente entwickeln, die freier kombinierbar sind und verschiedene, etwa wärmedämmende und energieerzeugende Funktion übernehmen. Für die serielle Sanierung mit solchen vorgefertigten Modulen ist ein digitaler Workflow essenziell. Digitale Bestandsmodelle bilden die Grundlage für die Planung. Bei durchgehender Digitalisierung der Planungsprozesse entstehen daraus direkte Fabrikationspläne für die Vorfertigung und die darauffolgende Installation der Module.

Welche Rolle spielt die systemische Fertigung in diesem Zusammenhang? Was macht sie so nachhaltig?

Planerinnen und Planer sollen zukünftig aus einer Art Systembaukasten mit aktiven und passiven Bauelementen wählen können, um individuell auf die Gegebenheiten eines Baus und seiner Umgebung reagieren zu können. An stark verschatteten Fassadenbereichen würde man dann Elemente anbringen, die keine Energie gewinnen, während sonnige Partien mit energiegewinnenden Modulen bekleidet würden. Ein solches flexibles und modulares System würde die Handhabbarkeit und Montage erleichtern. Der Aufbau einer Fassade wäre auch ohne große Gerätschaften wie Kräne oder ein Gerüst machbar. Auch könnten die benötigten Module durch die Weitergabe standardisierter, digitaler Bausätze automatisch sowie nach Bedarf produziert werden. Im Rahmen von Bau-DNS wird bereits zur nötigen Industrieauslegung geforscht, so arbeiten unsere Kollegen vom Fraunhofer IFF etwa an automatisierten Fabrikstraßen. Die modulare Bauweise erleichtert außerdem Wartungsarbeiten, deren regelmäßige Durchführung aufgrund der elektrischen Elemente von Fassadenmodulen wichtig ist. Zudem können systemisch ausgelegte Module rückgebaut oder einzelne Module ersetzt werden. Wichtige Ziele hierbei sind, Ressourceneffizienz und Kreislauffähigkeit, um die ökologische Bilanz zu verbessern.

Wie kann Digitalisierung zur Erhöhung der Sanierungsquote beitragen?

Unser Ziel ist es, digitale Werkzeuge und Methoden zu entwickeln, die den Bauplanungsprozess verschlanken und damit auch die Gesamtzeit, die zur Realisierung eines Bauvorhabens anfällt, verringern. Dabei fokussieren wir uns auf die ersten vier Leistungsphasen des Bau- und Planungsprozesses nach der Honorarverordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI). Eine Verbesserung der Abläufe kann hier bereits eine große Zeitersparnis bewirken. Aktuell werten wir den Digitalisierungsstand der Baubranche in der Planung aus. In den genannten Planungsabschnitten konzentrieren sich digitale Anwendungen vor allem auf Zeichensoftware und das sogenannte Building Information Modelling (BIM), das bereits seit den 1980ern verwendet wird, um Gebäudedaten und mit diesen verbundene Arbeitsprozesse zu verwalten.Wir schauen uns die Stärken und Schwächen der BIM-Methode an und versuchen, fehlende Werkzeuge zu ergänzen bzw. zu entwickeln.

Von der Zeitersparnis abgesehen – welchen Nutzen bieten innovative BIM-Werkzeuge für Architektinnen oder Planer?

Wir möchten vor allem kleinere Architekturbüros und mittelständische Gewerke unterstützen, die, anders als große Planungsbüros mit eigens angestellten BIM-Expertinnen und -Experten, häufig keine Kapazitäten besitzen, um digitale Prozesse in ihren Alltag zu implementieren. Gerade in Deutschland sind Bauprozesse durch den hohen Anteil an involvierten kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) sehr arbeitsteilig angelegt und die Abstimmungsprozesse werden immer komplexer. Wir bieten Methoden an, die den Einbezug aller am Bau Beteiligten erleichtern und durch Digitalisierung Prozesse beschleunigen helfen. Grundsätzlich geht es in unserer Forschung darum, die Komplexität zu verringern, die Produktivität unserer Kundinnen zu erhöhen und Fehlerkosten zu minimieren, und damit die Produktivitätsquote der gesamten Bauwirtschaft unter Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien positiv zu beeinflussen.

Inwiefern könnten Planungsbüros künftig vom Einsatz künstlicher Intelligenz profitieren?

Es gibt bereits einige BIM-Softwarehersteller, die KI-Methoden in ihre Anwendungen integrieren. Diesen Markt sondieren wir gerade. In vielen Bereichen ist es so, dass intelligente Systeme erst mit Fragestellungen und Expertenwissen trainiert werden müssen, um einsatzfähig zu sein bzw. damit KI effektiv genutzt werden kann. Allgemein zugängliche Chatbots sind hierfür nicht geeignet, da sie auf zu breite, nicht spezialisierte Wissensbestände im Internet zurückgreifen, in dem Fachwissen häufig nicht kostenlos verfügbar ist. Wir erörtern Einsatzmöglichkeiten, in denen KI-Systeme kompetent reagieren und unterstützen können. Gerade die Weitergabe von geometrischen oder semantischen Daten von einer Person zur anderen innerhalb des Entwurfsprozesses verläuft meist nicht lückenlos. KI-Programme könnten es Planenden erleichtern, sich in den teils erschlagenden Datenmengen zu orientieren. Hier gibt es bislang nur Ansätze für spezielle Planungsbereiche, aber kein übergreifendes, digitales Werkzeug.

Welche Innovationen sind für Visualisierungssoftware zu erwarten?

Meine Kolleginnen und Kollegen im Projekt „PV-Antiblend“ arbeiten aktuell an einem Plug-In für die von vielen Planungsbüros genutzte 3D-Modellierungssoftware Rhino, das es möglich machen soll, Blendungsrisiken von PV-Anlagen zu visualisieren. Architekten und Planende sollen damit außerdem Zugriff auf die Reflexionsdaten von PV-Modulen erhalten, um bereits in der Planungsphase geeignete Entblendungstechnologien für einen Bau identifizieren zu können. Mithilfe des genannten Tools sollen Gebäudefassaden möglichst realitätsnah abbildbar werden. Aber auch in dem vom Fraunhofer ISE initiierten, europäischen Kooperationsprojekt MASS-IPV soll die digitale Visualisierung von Fassadenentwürfen vorangetrieben werden– Nicht zuletzt,um ästhetische Vorbehalte gegenüber multifunktionalen Fassaden aufzulösen. Mit unserer Forschung zu modularen Fassadensystemen möchten wir Planungsbüros vor allem gestalterische Flexibilität ermöglichen. Für diese sollte es eine Wahlmöglichkeit zwischen Bauelementen geben, die ihre ökologischen Vorteile durch die Sichtbarkeit von PV-Konstruktionen offen zur Schau stellen, und anderen, bei denen die energieversorgende Funktion hinter dem Erscheinungsbild zurücktritt, z.B. indem Bauelemente direkt durch PV-Elemente ersetzt werden.

BIPV, u.a. an Fassaden, gilt als wichtiger Baustein für eine grüne Bauwende. Können digitale Ansätze den Ausbau unterstützen?

Um die energetische Sanierung voranzutreiben, müssen wir die Hüllen der Gebäude ertüchtigen. Integriert man gleichzeitig PV in die Gebäudehülle, können die bereits versiegelten Flächen in den Städten zukünftig für die Energiegewinnung genutzt werden. Digitale Werkzeuge sind dabei entscheidend, um das energetische Potenzial gebauter Strukturen bereits im Planungsprozess zu ermessen und mit möglichst geringem Planungsaufwand nutzbar zu machen. Das Fraunhofer ISE bietet daher Solarpotenzialanalysen an, die den architektonischen Kontext eines Gebäudes berücksichtigen. Dabei können wir am ISE auch komplexe Gebäudegeometrien mit (Teil-) Verschattungen berechnen und Lösungen, beispielsweise durch eine angepasste Verschaltung der PV-Module, bereitstellen.

Woher bezieht ihr euer Praxiswissen, wie tauscht ihr euch mit der Branche aus?

In unserem Team haben einige Kollegen und Kolleginnen eigene Planungserfahrung, ich selbst habe Architektur studiert. Eine wichtige Ressource sind auch unsere Projekte mit Industrie- und Forschungspartnern, in denen alle Seiten dazulernen. Darüber hinaus veranstalten wir runde Tische und gehen in Austausch mit Fachleuten und Betrieben aus der Baupraxis. Dabei beziehen wir auch andere Länder, wie beispielsweise Frankreich und die Schweiz mit ein, wo die genannten Abläufe etwas anders definiert sind. Da in der Baubranche viele Arbeitsschritte auf Erfahrung basieren, mangelt es häufig an Dokumentation, die aber nötig wäre, um Probleme und ihre Ursachen rechtzeitig zu erkennen. Am ISE sind wir daher immer auf der Suche nach Gesprächspartnern und Projektpartnerinnen, um Einblick in Prozessabläufe zu bekommen. Anfragen sind uns sehr willkommen! Darüber hinaus sind wir in der Fraunhofer-Allianz Bau, einem Verbund verschiedener Fraunhofer-Institute vernetzt, der sich als Schnittstelle zum Markt für integrale Systemlösungen in der Baubranche versteht und Kundenanfragen gezielt bearbeiten kann.

Mona Mühlich

Mona Mühlich promoviert seit September 2023 in der Abteilung Energieeffiziente Gebäude am Fraunhofer Institut für Solare Energien ISE. Sie forscht im Bereich der Digitalisierung und Automatisierung von Bauplanungsprozessen. Nach einem B. Sc in Architektur und Stadtplanung an der Universität Stuttgart absolvierte sie das dortige M. Sc Programm „Integrative Technologies & Architectural Design Research“ (ITECH) und beschäftigte sich als wissenschaftliche Mittarbeiterin am Institut für Tragkonstruktionen und Konstruktives Entwerfen itke mit adaptiven Fassadensystemen.

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Mona Mühlich

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