Du leitest eine Forschungsgruppe zum Thema »Kognitive Gebäude« am Fraunhofer ISE. Womit beschäftigt sich dein Team?
Wir forschen zum Einsatz künstlicher Intelligenz für einen effizienteren und damit nachhaltigen Gebäudebetrieb. Unser Ziel ist es, durch die Kombination von detaillierten Gebäudedaten und fortschrittlicher Datenanalyse effizientere Betriebsabläufe zu ermöglichen und Einsparpotenziale zu identifizieren. Das umfasst die Optimierung des Energieverbrauchs und die Integration erneuerbarer Energien durch intelligente selbstlernende Regelung. Aber auch das automatisierte Erkennen und Diagnostizieren von fehlerhaftem Betrieb sowie Verbesserungs- und Wartungsmaßnahmen spielen eine wichtige Rolle. In diesem Bereich besitzt das Fraunhofer ISE ein eigenes Arbeitsgebiet. Wir nutzen modernste digitale Technologien, darunter künstliche neuronale Netze und andere Methoden des maschinellen Lernens zur Anomalieerkennung, Zeitreihenvorhersage oder Bild- und Textverarbeitung. Dabei möchten wir die Informationen aus den Daten für Nutzer zugänglich machen und aus den gesammelten Daten präzise Handlungsempfehlungen für eine Verbesserung des Gebäudebetriebs ableiten. Ein dritter Schwerpunkt ist eher übergeordnet wichtig, nämlich die Digitalisierung von Gebäudeinformationen, um künstliche Intelligenz überhaupt anwenden zu können.
Wie kommt ihr an diese Gebäudeinformationen?
Das ist unterschiedlich. In einigen Fällen verwenden wir messtechnische Systeme, um Daten direkt vor Ort zu erfassen. Das kann beispielsweise durch den Einsatz von Sensoren erfolgen. Diese erfassen verschiedene Parameter wie Temperatur und Kohlendioxidgehalt im Raum, Volumenfluss oder Temperatur in den Leitungen sowie den Energieverbrauch in den Anlagen. In anderen Fällen arbeiten wir mit Unternehmen und Forschungsinstitutionen zusammen, die uns Zugang zu ihren Datenbanken geben. Neben diesen Messdaten betrachten noch weitere Gebäudedaten, beispielsweise aus Bestandsplänen, die aber erst digitalisiert und analysiert werden müssen.
Können Bestandsgebäude mithilfe von KI technologisch nachgerüstet werden?
Auf jeden Fall! Es gibt viele sogenannte Retrofitting-Lösungen für Sensorik und Aktorik, die zum Beispiel mit der energiesparenden Funktechnologie LoRaWAN über eine Cloud vernetzt werden können, um intelligente Betriebsentscheidungen zu treffen. Für komplexe Bestandsgebäude arbeiten wir außerdem an Verfahren, die es möglich machen, die in Plänen oder technischer Dokumentation vorhandenen Gebäudeinformationen zu digitalisieren und für die weitere Verarbeitung aufzubereiten. Ein Beispiel hierfür ist das Projekt »DiMASH« am Fraunhofer ISE, in dem Anlagen- und Hydraulikschemata durch KI-Bilderkennungsverfahren identifiziert und in ein digitales Anlagendatenmodell übertragen werden. In diesem Bereich, das heißt, der Bestandsdigitalisierung mithilfe multimodaler KI-Modelle und der Überführung in BIM-Datenmodelle, besitzen wir besondere Kompetenz.
Die Digitalisierung gilt als wichtiger Treiber der Energiewende. Welche Chancen eröffnet die automatisierte Betriebsführung für Gebäudebetreiber, Industrie oder Kommunen?
Durch den Einsatz intelligenter Systeme und Technologien lassen sich Prozesse besser steuern, was Kosten spart und CO2-Emissionen reduziert. Industriebetriebe und Kommunen können aber auch ihre Unabhängigkeit erhöhen, indem sie vermehrt auf erneuerbare Energiequellen wie Photovoltaik, Solarthermie oder auch Abwärme setzen. Kommunen haben die Möglichkeit, durch Förderung lokaler Energiegemeinschaften ihre Bürgerinnen und Bürger an der Umsetzung der Energiewende auch wirtschaftlich teilhaben zu lassen. Wir arbeiten generell mit Gebäude- und Liegenschaftsbetreibern zusammen, die sich sowohl klimafreundlich als auch wirtschaftlich – etwa durch geringeren Personalaufwand im Gebäudebetrieb – aufstellen wollen.
Für die Energiewende werden zunehmen sektorenübergreifende Strategien erforderlich. Welchen Beitrag können smarte Gebäude hier leisten?
Durch den Einsatz von Photovoltaikanlagen können Gebäude selbst zu Energieproduzenten werden. Smarte Gebäude können hieran anknüpfen und durch intelligente Energiemanagementsysteme Energie vorrangig in Zeiten, in denen diese in großer Menge produziert wird, nutzen oder sogar speichern. Überschüssige Energie wird dann ins öffentliche Netz eingespeist, was nicht nur Einnahmen schafft, sondern auch das örtliche Stromnetz entlastet. Zudem lassen sich energieintensive Vorgänge so planen, dass sie bei hoher Verfügbarkeit von Energie stattfinden, was die Netzstabilität verbessert und Lastspitzen reduziert. Allerdings mangelt es derzeit an einem effektiven Anreizsystem, das die Kostenschwankungen bei der Verfügbarkeit erneuerbarer Energien an die Verbraucherinnen und Verbraucher weitergibt.
Welche Akteure sind bei der Implementierung der neuen Technologien beteiligt? Was sind die Herausforderungen?
Wir kooperieren mit Sensorherstellern, Software-Entwicklern, Ingenieurbüros und Start-Ups, die Lösungen für die Steuerung und Analyse gebäudetechnischer Systeme entwickeln. Planerinnen und Planer sind dabei unverzichtbar, um diese Technologien nahtlos in die Gebäudekonzeption und Sanierungsmaßnahmen zu integrieren. Installationsunternehmen übernehmen die fachgerechte Einrichtung und Inbetriebnahme der Systeme, während Facility Manager anschließend den reibungslosen Betrieb und die kontinuierliche Optimierung der Anlagen gewährleisten. Um die Wirksamkeit innovativer Lösungen zu belegen, sind Pilotprojekte in realen Gebäudeumgebungen von großer Bedeutung. Eine Herausforderung für Installation und Wartung bleiben aber der Fachkräftemangel und das häufig fehlende Fachwissen für die passende Einstellung der Systeme, die teilweise auch von den Endnutzern übernommen werden muss. In unserem Verbundprojekt »Al4HP« – Artificial Intelligence for Heat Pumps entwickeln wir zusammen mit französischen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen intelligente Wärmepumpen, die die aufwendige, manuelle Kalibrierung vor oder nach Sanierungsmaßnahmen autonom durchführen. Solche intelligenten Wärmepumpen erlernen durch den Einsatz künstlicher neuronaler Netze das individuelle Gebäudeverhalten und die Nutzerbedürfnisse. Im Nachgang passen sie die Regelungsparameter an und gewährleisten eine optimierte, nutzerfreundliche Energieeffizienz.
Neben den Vorteilen wird häufig auf mögliche Gefahren von KI verwiesen. Wie steht es um die Sicherheit der Daten von Nutzern intelligenter Gebäudetechnologien?
Der Einsatz von KI und anderen Algorithmen im Gebäudebetrieb führt nicht zwangsläufig zu ungeschützten Daten. Trotzdem müssen die eingesetzten Technologien, einschließlich IoT-Geräten, Cloud-Diensten und Netzwerkinfrastrukturen, sorgfältig geprüft werden, um Datensicherheit garantieren zu können. Deutschland und die EU schreiben ein hohes Maß an Datenschutz und Datensicherheit vor, die letztlich von den Technologieanbietern umgesetzt werden müssen. Für das intelligente Management von steuerbaren Verbrauchseinrichtungen wie Wärmepumpen oder privaten Ladeeinrichtungen für E-Autos gibt es besondere Regelungen der Bundesnetzagentur. Das liegt an ihrem hohen Leistungsverbrauch, insbesondere wenn diese gleichzeitig Strom beziehen, was sie anfälliger für Netzstabilitätsangriffe macht.
Smarte Gebäudetechnologien gibt es bereits seit einigen Jahren. Von welchen Entwicklungen könnten Gebäudebetreiber und -dienstleister künftig profitieren?
Aktuell wenden sich Industrieunternehmen mit großen Liegenschaften an uns, um maßgeschneiderte Lösungen für die Integration erneuerbarer Energietechnologien und eine Verbesserung ihrer Energieeffizienz durch die intelligente Vernetzung ihrer Betriebsprozesse zu erreichen. Kommunen haben Bedarf bei der Gestaltung und Umsetzung von Konzepten zur intelligenten Stadtentwicklung, die nicht nur die lokale Energieerzeugung und -nutzung optimieren, sondern auch die Durchführung energetischer Sanierungsmaßnahmen vorantreiben. Mit unserer Forschung wollen wir künftig die Interoperabilität zwischen verschiedenen smarten Systemen und Bestandsgeräten in Gebäuden sicherstellen, wenn eher veraltete Technik und neue Systeme mit intelligenter Funktion kompatibel sein müssen. Eine weitere Aufgabe stellt die Verbesserung und Robustheit von KI-Algorithmen in realen Szenarios dar, da diese Algorithmen oft mit fehlerbehafteten, unzureichenden Datensätzen konfrontiert sind. Auch der Einsatz von generativer KI mit dem Potenzial leicht zugängliche Assistenzsysteme für den Nutzer zu entwerfen, die wiederum automatisiert Probleme erkennen und Handlungsempfehlungen generieren können, steht noch ganz am Anfang. An diesen Themen forschen wir. Hinzu kommt der Bedarf an Forschungen zum Lebenszyklusmanagement und an der Entwicklung nachhaltiger, energiesparender und -autonomer IoT-Systeme. Wir haben also einiges zu tun.
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