Die jüngste Diskussion um die Energiewende und der Kabinettsbeschluss zur EEG-Novelle 2016 haben eine negative Auswirkung auf die angestrebten Klimaziele. Das Erreichen einer Reduktion der CO2-Emissionen in Deutschland um mindestens 80 Prozent bis 2050 im Vergleich zu 1990 ist mit der derzeitigen Geschwindigkeit der Maßnahmen in Gefahr geraten. Wir erleben eine neue Phase des Konflikts um die Energiewende in Deutschland. So erklärte die Bundesnetzagentur kürzlich, dass die Kosten für die Einspeisung wachsender Anteile fluktuierender erneuerbarer Energien aus der Ernte von Sonnen- und Windenergie weiter ansteigen könnten, da die Kosten der Bereitstellung von Reservekraftwerken, die sogenannten Re-Dispatch Kosten, von den heutigen ca. eine Milliarde Euro auf ganze vier Milliarden steigen könnten. Dabei geht es um im gesamten Energiesystem überschaubare Beträge, die EEG-Umlage kostet jährlich ca. 25 Milliarden Euro. Dazu kommt, dass diese Voraussage kontrovers diskutiert wird: Die Agora Stiftung kommt zu einem anderen Schluss, sie findet fallende ’Balancing’-Kosten der Einspeisung fluktuierender erneuerbarer Energien in den letzten zehn Jahren!
Eigenverbrauch von Solar- und Windstrom durch Haushalte und Industrie führt außerdem dazu, dass der Bezug von Netzstrom entsprechend abnimmt, es müssen also gar keine steigenden Kosten für die Einspeisung wachsender Mengen erneuerbarer Energien anfallen!
Angesichts dieser Tatsachen ist es unverständlich, dass die Bundesregierung dennoch auf die Bremse des Ausbaus der erneuerbaren Energien tritt.
Die erneuerbaren Energien haben heute so niedrige Kosten erreicht – PV Strom wird in Deutschland für weniger als 7,5 ct/kWh profitabel angeboten – dass klassische Subventionierung durch Einspeisetarife nicht mehr erforderlich ist. Die Erzeugung von Strom zum eigenen Verbrauch, gern auch kombiniert mit den immer preiswerter werdenden Batteriespeichern, wird zunehmend interessanter für private Haushalte, wie Mietergemeinschaften, Stadtviertel und Gemeinden, sowie Handwerker und kleine Industriebetriebe.
Die Bundesregierung sollte eigentlich an die marktwirtschaftliche Durchsetzungskraft der erneuerbaren Energien appellieren. Statt dessen soll jetzt aber außer der Belastung durch 40 Prozent der EEG-Umlage auch noch eine Sonnensteuer eingeführt werden, die besonders den nicht subventionierten, selbst erzeugten und verbrauchten Solarstrom belasten soll! Da dies weder die privaten Hausbesitzer mit Anlagen unter 10 Kilowatt Leistung betrifft, noch die Megawatt-skaligen Großanlagen, wirkt sie sich besonders gegen Handwerk und mittelständische Betriebe aus. Den Betrieben der ‚Herzkammer der deutschen Wirtschaft’ soll es also schwer gemacht werden, sich durch preisgünstigen, selbst-erzeugten Solarstrom zu versorgen – ein Unding!
Besonders unverständlich ist, dass die wirtschaftlichen Vorteile, die sich durch die rasch um sich greifende Ausweitung erneuerbarer Energien ergeben, in Deutschland nicht erkannt werden, während international viele Länder dies erkannt haben und nutzen. Was die Solarenergie angeht, hat Deutschland im (ungeplanten) Konzert mit China der Welt ein gigantisches Geschenk gemacht: die Kombination des attraktiven Einspeisetarifs in Deutschland mit bewusster Industriepolitik in China half die Solarenergie kostengünstig zu machen! In China erhielten Unternehmen in der als strategisch erkannten Branche der Photovoltaik (PV) Kreditlinien, die große Investitionsmittel in Bewegung setzten. Dies führte zum raschen Aufbau einer gewaltigen PV-Industrie in China, wesentlich basierend auf dem Einkauf deutscher und europäischer Produktionstechnologie. Die Folgen kennen wir: die Einkäufe halfen uns zwar durch die große Wirtschaftskrise von 2008/2009 zu kommen, aber die Preise für PV stürzten ab, Insolvenzen in Ost und West, 2012 stand dem Weltmarkt eine doppelt so große PV-Produktionskapazität gegenüber – besonders in China.
Heute, im Jahr 2016, haben wir einen wichtigen Wendepunkt der Solarindustrie erreicht: der Weltmarkt ist auf die Höhe der globalen Produktionskapazität gewachsen! Bis 2020 erwarten wir einen weiteren, raschen Anstieg des PV-Marktes, der nach Meinung der meisten Analysten in den nächsten fünf Jahren zu einer Verdoppelung der weltweiten PV-Produktionskapazität führen wird.
Es stellt sich aber die Frage, wer die Technologien für diese Verdoppelung liefern und wer die Fabriken bauen wird. Auch in Deutschland könnte man Investoren für den Aufbau konkurrenzfähiger moderner PV-Produktion neuester Technologie gewinnen, Voraussetzung wäre ein freier Solarmarkt, nicht subventioniert, mit Versteigerung für Großanlagen, ohne besondere Belastungen für diese wichtige Zukunftstechnologie. Diese Chance wird unter anderem durch die gerade vom Kabinett beschlossene EEG-Novelle verspielt.
Überall auf der Welt wird der Aufbruch ins Zeitalter der erneuerbaren Energien erkannt und umgesetzt: Die jetzt weltweit größte Solarmesse SNEC in Shanghai ist allein fast so groß wie unsere Industriemesse in Hannover, nur mit Solartechnologien. Kalifornien hat ambitionierte Ausbaupläne, ebenso Indien, die Türkei, der Iran, Ägypten, die Emirate und Saudi Arabien – nur Deutschland tritt auf die Bremse!
Studien wie die am Fraunhofer ISE entstandene »Was kostet die Energiewende – Wege zur Transformation des deutschen Energiesystems bis 2050«, von Prof. Hans-Martin Henning, stellvertretender Institutsleiter des Fraunhofer ISE, und Andreas Palzer, zeigen, dass dieser Prozess volkswirtschaftlich von Vorteil ist. Wir müssen erheblich investieren, aber diese Investitionen werden rasch durch die Ersparnisse stabiler Energiepreise im Vergleich zu den steigenden Preisen im ’business-as-usual’- Szenario aufgewogen. Denn am Ende des Prozesses müssten wir keine importierten Brennstoffe mehr bezahlen. Das Ziel ist die kostengünstige Versorgung Deutschlands – und der Welt – mit verlässlicher, CO2-arm bereitgestellter Energie.
In dieser Umstellung geht es nicht nur um Strom aus Sonne und Wind, sondern ebenso um die Nutzung von Speichern aller Art: Batterien und andere elektrochemische Speicher, thermische Speicher, Wasserkraft. Dazu kommt der Netzausbau. Strom wird durch Leitungen in beiden Richtungen fließen, und flexible Preise reizen die Verschiebung von Lasten auf Zeiten preisgünstigen Sonnen- und Windstroms an. Vergrabene Hochspannungs-Gleichstromkabel erlauben weiträumige Vernetzung. Das Netz muss an die Kontrolle fluktuierender Stromeinspeisung angepasst werden. Automatische Regulierung muss in der Art des Internets automatisch Stromtrassen schalten, um lokale Überschuss- und Mangelsituationen auszugleichen.
Wir kennen also die erforderlichen Technologien! Dies zeigt die Statistik der Bundesnetzagentur zu den Ausfallzeiten des Stromnetzes, des sogenannten System Average Interruption Duration Index SAIDI: Von 2006 bis 2014 verdoppelte sich die Menge des eingespeisten erneuerbaren Stroms, der SAIDI-Index halbierte sich, mit anderen Worten: unser heutiges – hochintelligentes – Netz mit fast 35 Prozent erneuerbarer Energie ist stabiler, zeigt weniger Ausfälle als das Netz vor zehn Jahren. Es hat gelernt mit Schwankungen umzugehen und ist daher widerstandsfähiger geworden gegen alle unerwarteten Ereignisse. Aus technologischer und ökonomischer Sicht gibt es also keine stichhaltigen Argumente für ein Ausbremsen der Erneuerbaren! Ganz zu schweigen von den Klimazielen der Bundesregierung sowie den in Paris vereinbarten Zielen zur Eindämmung des Klimawandels!
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