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Wärmepumpe in Mehrfamilienhaus. ©Stiebel Eltron/BWP

Wärmepumpen für Mehrfamilienhäuser: Handlungsempfehlungen aus der Praxis

Der Immobiliensektor hat in den vergangenen Jahren wiederholt die von der Bundesregierung gesteckten Ziele zur Emissionsreduktion verfehlt. Ein Grund: Die Wärmeversorgung der Bestandsgebäude erfolgt weiterhin überwiegend mit fossilen Energieträgern. Das Potenzial der Wärmepumpe wird bislang nicht genutzt: nur gut drei Prozent bei Mehrfamilien-Bestandsbauten werden bislang mit der mit der klimafreundlichen Alternative beheizt. Wie der Einbau von Wärmepumpen in Mehrfamilienhäusern beschleunigt werden kann, zeigt ein neuer Praxisleitfaden, den die Deutsche Energie-Agentur (dena) herausgegeben hat. Dr. Peter Engelmann, Experte für Gebäudesystemtechnik am Fraunhofer ISE, war an der Erstellung des Leitfadens beteiligt. In einem Blogbeitrag beantwortet er die wichtigsten Fragen, die der Leitfaden behandelt.

Wie sieht die Wärmeversorgung in Mehrfamilienhäusern derzeit aus?

Noch dominieren fossile Brennstoffe den Wärmemarkt:  Von den 24 Millionen installierten Wärmeerzeugern im Gebäudebestand werden in Deutschland vier von fünf Heizsystemen mit Gas, Öl oder Kohle betrieben. Bei Mehrfamilienhäusern verfügt rund die Hälfte der Bestandsgebäude über (gas- oder ölgefeuerte) zentrale Heizkessel, der Rest ist an ein Fernwärmenetz angeschlossen oder wird über dezentrale, wohnungsweise Heizsysteme wie Gasetagenheizung oder Einzelöfen mit Wärme versorgt. Fest steht, dass jede dritte Heizanlage bereits über 20 Jahre alt ist und in den kommenden Jahren umgerüstet werden muss.

Jedes Mehrfamilienhaus hat seine speziellen Anforderungen an die Wärmebereitstellung. Wie lassen sich die unterschiedlichen Heizsysteme per Wärmepumpe dekarbonisieren?

Es stimmt, Heizwärme und Trinkwarmwasser kann in Mehrfamilienhäusern vielfältig bereitgestellt werden: zentral, dezentral, gekoppelt oder getrennt. Bestehende Heizanlagen in einzelnen Etagen oder Wohnungen können z.B. auf ein zentrales System mit Wärmepumpe umgerüstet werden. Dies bedeutet allerdings zusätzlichen Aufwand wie Kernbohrungen und kann damit unter anderem schwieriger im bewohnten Zustand umgesetzt werden. Der Einsatz von dezentralen Wärmepumpensystemen bietet dagegen eine kostengünstigere Variante, etwa durch raumweise Luft-Luft-Wärmepumpen, die die Raumluft direkt erwärmen. Aufgrund des enormen Potenzials für den Umstieg auf Wärmepumpen im Gebäudebestand entwickelt das Fraunhofer ISE derzeit zusammen mit der Industrie und Wohnungswirtschaft Musterlösungen für den Ersatz von Gasetagen- und Zentralheizungen.

Können sich Eigentümer oder Eigentümergemeinschaften an Best-Practice-Beispielen orientieren?

Bei der Umstellung der Wärmeversorgung auf Wärmepumpen ist eine Vielzahl an Systemkombinationen denkbar und möglich. Die Internationale Energieagentur (IEA) hat einen hilfreichen Überblick von Wärmepumpenlösungen in Mehrfamilienhäusern erarbeitet, die in verschiedenen Ländern umgesetzt wurden. Auf der Webseite der IEA finden sich zahlreiche Beispiele mit entsprechenden Informationen zu Planung und Umsetzung von Wärmepumpenlösungen. Auch wir bieten in einem soeben veröffentlichten Leitfaden Beispiele aus der Praxis: Für ganz unterschiedliche Gebäudetypen zeigen wir die Umsetzung, Ergebnisse und die „Lessons Learned“ auf. Damit wollen wir Eigentümergemeinschaft oder Wohnungsbaugesellschaft die Umrüstung erleichtern.

Wo stößt die Wärmeversorgung mit Wärmepumpen an ihre Grenzen?

Aufgrund des höheren Heizwärmebedarfs und der höheren Heizkreistemperaturen als bei Einfamilienhäusern kann es sinnvoll sein, die Wärmepumpe in Mehrfamilienhäusern mit weiteren Wärmeerzeugern, z. B. einem Gas-Brennwertkessel oder einer Hochtemperatur- Wärmepumpe zu kombinieren. Dabei übernimmt die Wärmepumpe die Grundlast und wird durch den weiteren Wärmeerzeuger mit höheren Temperaturen unterstützt. Maßnahmen zur Verbesserung des Wärmeschutzes (Dämmung, Austausch von Fenstern) senken den Wärmebedarf und damit indirekt die Temperaturen im Heizsystem, so dass es unter Umständen möglich ist, die Heizbedarf ausschließlich über die Wärmepumpe zu decken.

Wie wähle ich die passende Wärmequelle für Wärmepumpen?

Als natürliche Wärmequellen dominieren Außenluft und Erdreich. Außenluft hat den Vorteil, dass sie als Wärmequelle kostengünstig zu erschließen ist. Nachteilig wirkt sich die in der Heizperiode sinkende Außenlufttemperatur und infolgedessen eine geringere Effizienz aus. Beim Einsatz der zum Wärmeentzug nötigen Ventilatoren muss der Schallschutz beachtet werden – gerade in dicht besiedelten urbanen Räumen. Hingegen ermöglichen Wärmequellen mit ganzjährig höherer Temperatur, etwa das Erdreich, Grundwasser, Oberflächen- oder Abwasser, höhere Effizienzen und sollten hinsichtlich Verfügbarkeit und Nutzung geprüft werden.

Wenn Luft als Wärmequelle z.B. aufgrund von mangelndem Platz ausscheidet – was ist dann eine geeignete Wärmequelle?

In Städten bedarf es besonderer Lösungen wie der Nutzung von Dächern für die Aufstellung von Außenlufteinheiten oder den Einsatz von photovoltaisch-thermischen Kombimodulen (PVT) als Wärmequelle.  PVT-Kollektoren produzieren gleichzeitig Strom und Wärme und können dadurch als Energiequelle für Wärmepumpen dienen. Tendenziell sind die Investitionskosten höher als bei der Installation reiner PV-Anlagen – dafür kann der PVT-Kollektor in Sachen Flächeneffizienz punkten. Wir forschen am Fraunhofer ISE dazu, die Effizienz entsprechender Anlagen zu analysieren und weiter zu erhöhen.

Geothermie, also die Nutzung von Erdwärme (über Sondenbohrungen oder Erdkollektoren) kann ebenfalls eine sinnvolle Alternative sein – auch in Kombination mit anderen Quellen. Für innerstädtische Quartiere kann – bei passender Infrastruktur – die Wärme aus Abwasser genutzt werden. Ein weiteres Feld sind sogenannte Quell-Netze, also leitungsgebundene »kalte« Wärmenetze, bei denen die Nutzwärme erst im Gebäude über Wärmepumpen auf die gewünschte Zieltemperatur angehoben wird.

Angenommen ich bin Eigentümerin eines Mehrfamilienhauses und plane eine Umrüstung des Heizsystems – was empfehlen Sie mir, wie ich vorgehen soll?

Die fachgerechte Konzeption und Planung durch einen Fachplaner und/oder Handwerkbetrieb sind unerlässlich. So stellt etwa die VDI-Richtlinie 4645 »Heizungsanlagen mit Wärmepumpen in Ein- und Mehrfamilienhäusern«, an der sich das SHK-Handwerk orientiert, ausführlich die erforderlichen Schritte von der Voruntersuchung und Konzepterstellung bis zur Detailplanung dar. Sie gibt Hinweise zu empfohlenen hydraulischen Schaltungen, zur Dimensionierung von Anlagenkomponenten und auch zu Kostenbetrachtungen. Und in unserem Leitfaden findet sich eine Checkliste, die aufzeigt, wie Sie Schritt für Schritt vorgehen sollten – angefangen von der Bewertung des Gebäudeportfolios bis zur Einbindung der Mieterschaft.

Zum Schluss noch eine Frage: Wie kann die Umrüstung beschleunigt werden?

Wir arbeiten daran, das serielle Sanieren mit Wärmepumpen zu forcieren. Statt kleinteiliger Einzelleistungen unterschiedlicher Gewerke kombiniert serielles Sanieren digitale Planung mit industrieller Vorfertigung und standardisierten Prozessen. Fassaden-, Dach- und Energiemodule werden im Werk vorgefertigt und auf der Baustelle nur noch montiert. Die zahlreichen Best-Practice-Beispiele zeigen, dass eine Umrüstung auch größerer Gebäude machbar ist und genügend gute Produkte am Markt sind. Wie bei jeder neuen Technologie erwarten wir auch hier in den nächsten Jahren weitere Optimierungen.

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Praxisleitfaden für Wärmepumpen in Mehrfamilenhäusern
»Praxisleitfaden für Wärmepumpen in Mehrfamilienhäusern«

 

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Bildnachweis
Titelbild: © Stiebel Eltron/BWP

Peter Engelmann

Dr. Peter Engelmann leitet die Gruppe Gebäudesystemtechnik in der Abteilung Energieeffiziente Gebäude am Fraunhofer ISE. Nach Abschluss des Studiums der Energietechnik war er am Lehrstuhl Architektur im Fachbereich Bauphysik und TGA an der Bergischen Universität Wuppertal tätig, wo er 2010 promovierte. Im Anschluss arbeitete er als Postdoc am Fraunhofer Center for Sustainable Energy Systems in Cambridge, Massachusetts, USA, bevor er 2011 ans Fraunhofer ISE wechselte.

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Peter Engelmann

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