Um die Ziele des Klimaschutzabkommens zu erreichen, stellt Deutschland in den kommenden Jahrzehnten sein Energiesystem auf den Kopf: Statt des zentralistischen Systems mit wenigen großen Kraftwerken und einer Verteilnetz-Kaskade wird es viele dezentrale, emissionsarme Erzeuger geben. Das zukünftige Energiesystem wird deutlich komplexer, lokaler, digitaler, technisch vielfältiger, partizipativer und vernetzter. Ein Beispiel dafür ist der Direkthandel von Strom in einer lokal kooperierenden Gemeinschaft, der sogenannte Peer-to-Peer-Handel.
Wie diese riesige Infrastruktur-Transformation funktionieren kann, haben wir gemeinsam mit vielen anderen Partnern aus Baden-Württemberg, Bayern und Hessen im Projekt »C/sells« erforscht, das im Dezember 2020 zu Ende ging. Vier Jahre lang wurden dabei die intelligente Vernetzung von Stromerzeugung und -verbrauch sowie der Einsatz innovativer Netztechnologien und -betriebskonzepte getestet. Ein Grundprinzip – das deutet der Name an – war dabei der zelluläre Ansatz: Gebiete wurden zu »Zellen« zusammengefasst, die miteinander handeln können. Das heißt, die klassische Rollenteilung Erzeuger-Verbraucher aus dem »alten« Energiesystem ist aufgehoben.
In unserer Untersuchung bestehen die »Zellen« aus vier Wohngebieten und dem Flughafen Stuttgart, die miteinander (Peer-to-Peer) handeln. Hinzu kommt die Verbindung zur Außenwelt in Form des Energieversorgers. Der Handel zwischen Zellen entspricht dem Konzept einer regionalen Handelsplattform, auf der die teilnehmenden Zellen untereinander Strom handeln können. Neben der Stromversorgung wird auch die lokale, rein strombasierte Wärmeversorgung betrachtet. Strom und Wärme werden von Photovoltaik-Anlagen und kleinen Blockheizkraftwerke lokal erzeugt. Für die Auswertung des Handels haben wir dann unterschiedliche Ansätze zur Bestimmung der lokalen Preise betrachtet.
Ziel war es, zu untersuchen, ob a) flexible Technologien durch einen direkten Handel mehr / anders / weniger genutzt werden und b) welchen Einfluss die Zusammensetzung der Akteure auf das Ergebnis hat.
Die Untersuchung wurde mit dem am Fraunhofer ISE entwickelten Energiesystemmodell DISTRICT durchgeführt.
DISTRICT bildet in 15-minütiger Auflösung nach, wer wie viel Strom und Wärme verbraucht und wo diese durch welche Technologie erzeugt werden. Wenn der lokale Handel (Peer-to-Peer) keine Überschüsse zu bieten hat, wird die Energie vom Energieversorger geliefert. In dem Modell wird nun zusätzlich abgebildet, dass die betrachteten Quartiere miteinander handeln und dadurch Strom zu einem anderen Preis als vom Versorger beziehen können bzw. auch eine andere Vergütung erhalten. Es zielt dabei auf eine Kostenminimierung für alle Zellen ab.
Vielfalt sorgt für Flexibilität
Die Ergebnisse zeigen, dass ein lokaler Peer-to-Peer-Handel von einer vielfältigen Zusammensetzung der Liegenschaften profitiert. So zeigt der Handel zwischen gewerblichen und Wohngebieten einen größeren Nutzen als der reine Handel zwischen Wohngebieten. Die Gewerbekunden haben andere Lastkurven als Wohngebiete, zum Beispiel haben erstere mehr Strombedarf tagsüber, letztere eher in den Morgen- und Abendstunden. Durch die gemischten Akteure mit unterschiedlichen Lastkurven wird der Peer-to-Peer-Handel effizienter. Dies gilt auch dann, wenn die Zellen ihre eigene Nachfrage zunächst nicht ändern, d.h. den Strom so verbrauchen, wie sie es auch ohne Peer to Peer Handel tun würden. Wenn die Zellen zusätzlich bereit sind, ihre Nachfrage dem Angebot anzupassen, ergibt sich ein weiterer Effizienzgewinn im Peer-to-Peer Handel.
Wie sehr die einzelne Liegenschaft am lokalen Handel teilnimmt, ist auch vom Preismechanismus abhängig. Daher empfiehlt es sich, vor der Einführung eines lokalen Peer-to-Peer-Handels die Zusammensetzung von Handelsgruppen, die Zielsetzung und dafür geeignete Preismechanismen noch genauer zu analysieren. Anderenfalls kann es zu nicht erwünschten Effekten wie einer überproportionalen Beteiligung einzelner Handelspartner kommen.
Wenn Wissenschaftler zu Schauspielern werden
Im Projekt CSells haben wir untersucht, ob der Handel von Strom zwischen Liegenschaften oder »Zellen« die Nutzung von Flexibilitäten verbessern könnte und was dabei zu beachten ist. Das ist zugegebenermaßen ein sehr komplexes Thema und für die meisten Menschen auch ein völlig neuer Denkansatz. Um unsere Arbeit und deren Ergebnisse auch einem breiteren Publikum zugänglich zu machen, hat sich ein Team aus Fraunhofer ISE-Wissenschaftlern zusammengefunden, die diese Arbeit in einen Film übersetzt haben. Das Ziel: wissenschaftliche Arbeit so darzustellen, dass es auch für ein nichtwissenschaftliches Publikum ohne Fachkenntnisse verständlich ist.
Daher haben wir nach einem Beispiel aus dem Alltag gesucht, das den Peer-to-Peer-Handel von Strom möglichst anschaulich darstellt: Max‘ überquellende Apfelernte, die kaum verarbeitet werden kann, da Lagerplatz knapp ist. Also bietet Max die Äpfel in der Nachbarschaft an, wo Elena gerade feststellt, dass sie für ihren Kuchen zu wenig Äpfel gekauft hat. Ähnlich verhält es sich beim Peer-to-Peer- Handel von Strom: Wenn lokale Erzeugungsanlagen, z.B. Photovoltaikanlagen, mehr Strom produzieren, als der Besitzer aktuell verbraucht, hat dieser einen Überschuss. Die Idee ist, diesen Überschuss an jemanden zu verkaufen, der aktuell Bedarf hat.
Probiert den Peer-2-Peer-Handel selbst aus!
Die im Film (in der Videokonferenz-Szene) gezeigte Visualisierung des Modells ist auch hier zu finden. Dort kann jeder selbst ausprobieren, wann Strom zwischen den Wohngebieten und dem Flughafen Stuttgart gehandelt wird, wie die CO2-Emissionen für den Peer-to-Peer-Handel oder die Kosten aussehen.
Neben dem lokalen Peer-to-Peer-Handel gibt es als Referenzszenario die Versorgung allein durch den Energieversorger (Peer-to-Utility). So kann man vergleichen, ob ein lokaler Handel den Betrieb der Anlagen, die Kosten oder die CO2-Emissionen verändert. Für die zwei Szenarien sind die Energie- und Geldflüsse im Tages- bzw. Jahresverlauf dargestellt. Die jährliche Summe wird am Ende der Visualisierung für das jeweilige Quartier angezeigt. Um euch den Einstieg in die Visualisierung zu erleichtern, haben wir ein kurzes Tutorial erstellt. Wir wünschen euch viel Spaß und viele Aha-Erlebnisse beim Handeln!
Titelbild © Fraunhofer ISE
Guten Tag Frau Thomsen,
leider funktioniert bei mir die Visualisierung des Modells nicht, die Steuer Elemente sind zu sehen und die Zeit läuft aber der Rest bleibt schwarz. Daten zum System:
Linux 5.3.18 (64-bit)
Firefox 78.8.0esr (64-bit)
Javascript ist aktiviert
Die Idee scheint gut zu sein, ich erwarte mit Freunde die Veröffentlichung einer Studie zu dem Thema.
Mit Freundlichen Grüßen Björn
Hallo Björn,
vielen Dank für den Hinweis, wir sehen uns das Problem an und hoffen, dass wir dir Ursache schnell finden.
Viele Grüße,
Jessica Thomsen