Am 15.04.2023 ging in Deutschland mit der Abschaltung der letzten drei Atomkraftwerke Emsland, Neckarwestheim und Isar die Ära der Kernkraft zu Ende. Zuletzt hatte die Kernkraft noch einen Anteil von 1,5 Prozent an der öffentlichen Nettostromerzeugung.
Auch nach ihrer Abschaltung sorgen die AKWs weiter für Diskussionen. Beispielweise titelte eine Boulevard-Zeitung angesichts gestiegener Stromimporte im Sommer 2023, Deutschland sei zum „Strombettler“ geworden. Sehr oft wird auch behauptet, der Atomstrom sei durch Kohle ersetzt worden, Deutschlands Strommix also CO2-intensiver als vorher.
Doch was ist dran diesen Behauptungen? Der Gründer der Datenplattform Energy-Charts, Prof. Bruno Burger, zeigt anhand von Strommarktdaten auf, wie sich der Atomausstieg ausgewirkt hat. Für die Plattform werden Rohdaten aus einem Dutzend Quellen stündlich oder täglich abgerufen und für die interaktive grafische Darstellung aufbereitet. Die Webseite will einen Beitrag zur Transparenz und Versachlichung der Diskussion um die Energiewende leisten.
Ist Deutschland zum „Strombettler“ geworden, weil die Stromimporte gestiegen sind?
Die Importe sind 2023 gestiegen, obwohl Deutschland genügend Kraftwerkskapazität hatte, um sich jederzeit selbst zu versorgen. Einer Last (Summe aus dem Stromverbrauch und den Netzverlusten) von etwa 75 GW stehen in Deutschland etwa 90 GW an nicht-fluktuierenden Erzeugungskapazitäten gegenüber. Dazu kommen noch die erneuerbaren Erzeuger Solar (ca. 85 GW) und Wind (ca. 70 GW) und die Pumpspeicher (ca. 9,5 GW).
Grund für die stärkeren Importe sind also nicht mangelnde Erzeugungskapazitäten in Deutschland, sondern die Börsenstrompreise. Diese sind in letzter Zeit deutlich gefallen. Im Sommer haben die erneuerbaren Kraftwerke in den Alpen und in Dänemark, Norwegen und Schweden, günstigen Strom erzeugt, so dass die deutschen Kohlekraftwerke nicht konkurrenzfähig waren. Hinzu kam im Sommer, dass viele Kernkraftwerke in Frankreich nach den Ausfällen im Jahr 2022 wieder an Netz gingen und gleichzeitig der Stromverbrauch in Frankreich gering war.
Ist die Nutzung von Kohle, Öl oder Gas und damit der Ausstoß von CO2-Emissionen nach dem Atomausstieg gestiegen?
Die Nutzung von fossilen Energien zur Stromerzeugung in Deutschland ist nicht gestiegen, sondern deutlich zurückgegangen. Sie lag 2023 auf dem niedrigsten Stand seit 1965. Insgesamt wurden zwischen 16. April 2023 und 15. April 2024 etwa 155 TWh Strom aus Kohle, Erdgas, Öl und nicht-erneuerbarem Müll erzeugt, das ist liegt deutlich unter den Werten der Vorjahre und 26% weniger als im Vorjahreszeitraum.
Die Stromerzeugungslücke wurde durch verschiedene Maßnahmen gefüllt: mehr Erzeugung aus erneuerbaren Energien, Strom sparen, Eigenstromerzeugung aus PV, eine reduzierte Last und Importe.
Wie hat sich die Abschaltung auf die Strompreisentwicklung ausgewirkt?
Die Strompreise an der Börse (Day-Ahead) sind auf dem Niveau von Juni 2021, also niedriger als vor dem Ukrainekrieg.
Die Strompreise der Haushalte haben sich auch erholt und liegen für Neukunden auf dem Niveau vom 04. Juni 2021.
Die Auswertung des Zeitraums Mitte April 2023 bis Mitte April 2024 zeigt also, dass der Wegfall der Kernkraft in Deutschland gut kompensiert werden konnte. Entgegen der Behauptungen lag der Anstieg beim Import nicht an mangelnden Erzeugungskapazitäten in Deutschland, sondern an den günstigen Erzeugungspreise der erneuerbaren Kraftwerke in den Alpen und in Skandinavien.
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