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Deutschland, was kostet Dich dein Strom?

Seit 14 Jahren berechnen Dr. Christoph Kost und sein Team die Stromgestehungskosten – also die durchschnittlichen Erzeugungskosten pro Kilowattstunde Strom – für Energietechnologien in Deutschland. Im Interview erklärt er, welchen Beitrag diese Studien leisten können, welche Entwicklungen er in den letzten Jahren beobachten konnte und was Deutschland für den Umbau seines Energiesystems hin zur Klimaneutralität noch schaffen muss.

Die erste Stromgestehungskostenstudie habt ihr 2010 veröffentlicht. Erinnerst du dich noch daran, was damals eure Motivation war?

Die Hauptmotivation war, Transparenz zu schaffen. Zum einen generell über die Technologien und die Frage, wo stehen die Stromgestehungskosten aktuell? Denn 2010 war auch schon eine sehr starke Kostendegression bei den erneuerbaren Energien durch das Marktwachstum in den vorangegangenen Jahren sichtbar. Und zum anderen aber eben auch, ganz wichtig, um einen Ausblick zu zeigen. Was passiert jetzt die nächsten 10 oder 20 Jahre? Ist da noch Einsparpotenzial vorhanden und wie weit gehen die Kosten perspektivisch noch runter?

Hat sich die Studie seitdem methodisch verändert? Benutzt ihr heute andere Tools oder habt ihr an den Parametern grundlegend etwas geändert?

Zuerst einmal ist die grundlegende Methodik der Berechnung der Stromgestehungskosten relativ simpel. Das ist eine einfache Formel und ein begrenzter Datensatz, der da einfließt. Diese Methodik haben wir bis heute im Prinzip immer beibehalten.

Weiterentwickelt haben wir insbesondere zwei Aspekte: Zum einen das Technologieportfolio, das wir auswerten, in seiner Gesamtheit und auch im Detailgrad, zum Beispiel, welche Untergruppen von Technologien hinzugekommen sind. Oder, dass wir einzelne Parameter noch mal stärker hinterfragt haben. Zum anderen aber auch, welche Fragen wir uns in der Auswertung der einzelnen Technologien anschauen. In der aktuellen Studie haben wir uns beispielsweise bei den flexiblen Kraftwerken die Volllaststunden nochmal näher angeschaut und variiert. Das ist etwas, das in dieser Detailtiefe in früheren Studien nicht enthalten war. 

Gibt es auch Technologien, die ihr im Laufe der Zeit weggelassen oder nicht mehr berücksichtigt habt?

Ja, wir haben in der Studie immer auch noch einen Abschnitt, wo wir uns die einzelnen Technologien nochmal an anderen Standorten angeschaut haben, zum Beispiel an Orten mit höherer solarer Einstrahlung. Da hatten wir in der Vergangenheit bis zur letzten Studie auch immer die solarthermischen Kraftwerke noch berücksichtigt. Das haben wir jetzt in der aktuellen Studie nicht mehr gemacht, weil der Zubau bei diesen Kraftwerken momentan überschaubar ist.

Aber sonst haben wir eigentlich eher Technologien dazu genommen. Aktuell beispielsweise Brennstoffzellen, Wasserstofftechnologien und Agri-Photovoltaik. In der Studie davor kamen PV-Batteriekraftwerke hinzu.

Ein Punkt, der an der Studie kritisiert wurde, ist, dass die Definition der Stromgestehungskosten und die Art, wie wir sie analysieren, keine gute Methode zur Berechnung der tatsächlichen Erzeugungskosten sei. Kannst du diese Kritik nachvollziehen?

Wir stellen in der Studie selbst die Methodik dar und gehen auch auf die ihre Grenzen ein. Es ist eine relativ einfache Methodik. Sie stellt die Kosten für den Betrieb einer Technologie dar und teilt diese durch die Stromproduktion, die dabei stattfindet. Dadurch erhält man einen einzigen, gemittelten Wert für eine Technologie, den man mit dem Wert einer anderen Technologie oder Konfiguration vergleichen kann.

Es ist aber nicht so, dass wir jetzt einfach die günstigsten Technologien auswählen und daraus unser Energiesystem zusammensetzen könnten. Das war auch in der Vergangenheit nicht so. Es geht immer um die Kombination von Technologien und das ist komplexer, insbesondere im optimalen Zusammenspiel. Im Endeffekt ist es so, dass Technologien unterschiedlich eingesetzt und geregelt werden und verschiedene Aufgaben erfüllen. Dadurch hat die Stromproduktion unterschiedliche Wertigkeiten und dieser einzelne gemittelte Wert ist nicht entscheidend dafür, dass eine Technologie betrieben oder gebaut wird und wie sie vergütet wird. Es ist nur ein Wert unter vielen Parametern. Daneben können auch völlig andere Aspekte eine Rolle spielen, beispielsweise soziale Effekte oder die Zielsetzung, die Technologieführerschaft in einem bestimmten Bereich zu halten oder zu erreichen. Das kann die Methodik gar nicht alles abdecken und diesen Anspruch hat sie auch nicht.

Teilweise wird angenommen, die Studie hätte diesen Anspruch und interpretieren daher zu viel in die Studie hinein. Aber wir machen im Übrigen ja nicht nur Studien zu den Stromgestehungskosten unterschiedlicher Technologien, sondern auch Studien zu Energiesystemen. Und in diesen systemischen Studien sind auch bei uns die Stromgestehungskosten nur ein Faktor unter Vielen.

Wenn du einmal alle Studien Revue passieren lässt, gab es da irgendwelche Dinge, die auffällig waren oder die euch überrascht haben?

Wenn man sich die ersten beiden Studien aus den Jahren 2010 und 2012 anschaut und unsere Kostenprognosen von damals, und das mit den aktuellen Studien zehn Jahre später vergleicht, dann stellen wir fest, dass wir relativ nah in dem Kostenkorridor sind, den wir damals vorhergesagt haben. Das ist natürlich sehr positiv!

Du beschäftigst dich beruflich sehr intensiv mit einer Vielzahl von Fragen zu Energiesystemen und der Energiewende. Wie schätzt du den bisherigen Weg der Energiewende ein und wie optimistisch blickst du auf die kommenden Jahre?

Es ist ein gemischtes Bild. Sehr positiv ist, dass die Kosten über eigentlich alle erneuerbaren Energietechnologien sehr stark gesunken sind. Und mit den günstigen Kosten lässt sich die Energiewende selbstverständlich leichter umsetzen als mit hohen Kosten. Wir sind in den letzten 15 Jahren einen großen Schritt in Richtung Massenproduktion und Masseneinsatz dieser Technologien gegangen. Wir hatten vor 15 Jahren nicht so viele große Photovoltaik- und Windparks wie heute und wir haben aktuell rund 60 % erneuerbare Energien im Stromsystem.

Aber der Weg ist trotzdem noch sehr weit. Wir benötigen noch etwa eine Verdrei- oder Vervierfachung der erneuerbaren Erzeugung, um das gesamte Energiesystem zu dekarbonisieren. Dazu müssen wir schneller werden, z.B. bei der Windkraft. Bei der ein oder anderen Technologie fehlt auch noch der Sprung zum Massenmarkt bzw. die Umsetzung im großen Maßstab, z.B. bei der Elektrolyse und Negativemissionstechnologien wie Pyrolyse. Wir können auf den vorhandenen Technologien und günstigen Kosten aufbauen, aber wir müssen „eine Schippe drauflegen“ und haben noch einen weiten Weg in der Umsetzung vor uns.

Bist du prinzipiell skeptisch gegenüber den Ländern, die sagen, sie versuchen jetzt Atomkraft zur Basistechnologie zu machen, mit der ein Großteil des Strombedarfs bedeckt wird?

Der Hauptgrund, warum ich skeptisch bin, ist der, dass Kernkraft nicht die günstigste Technologie ist. Es ist klug, als Basis eines Energiesystems die günstigsten Technologien zuerst zu nehmen. Und da PV und Wind halb so teuer sind wie Atomenergie, stellen diese erst einmal die Grundlage für ein klimaneutrales Energiesystem dar. Dann muss man als nächstes schauen, welche Technologien man dazu ergänzt. Und da passt dann Atomkraft wiederum nicht mehr so gut als Ergänzung zu den sehr volatilen Energieerzeugern Sonne und Wind, weil sich Atomkraftwerke nicht so schnell regeln lassen, um damit die Fluktuation der erneuerbaren Stromerzeugung auszugleichen. Die beste Ergänzung ist dann eben eher eine andere, flexiblere Energiequelle, zum Beispiel Batteriespeicher, Pumpspeicherkraftwerke oder auch Wasserstoff-Kraftwerke.

Gibt es auch Länder, die du dir anschaust und denkst, wow, die machen das richtig gut, smart wie die Energien kombinieren, oder die haben das Beste aus ihren lokalen Gegebenheiten gemacht?

Ich glaube, ganz spannend ist hier, dass es einfach Länder mit unterschiedlichen Voraussetzungen gibt und jedes Land natürlich immer eine leicht andere Strategie fährt. Es gibt nun mal Länder, die vielleicht auch gegenüber anderen Ländern bevorteilt sind, weil sie z.B. die Landfläche haben oder weil sie bestimmte Ressourcen haben und sich deswegen auch auf eine Technologie besonders fokussieren können.

Was einige Länder aber auf jeden Fall besser machen ist der Smartmeter-Rollout. Da kann man einfach attestieren, dass Deutschland das eher schlecht macht, obwohl die Technologien schon länger vorhanden wären und dass viele Länder da schneller vorangeschritten sind. Hier ist so ein Bereich, wo wir eine Schippe drauflegen müssen, das heißt: einen flächendeckenden Rollout von Smart-Meter durchzuführen, um den Stromnetzzustand gut zu monitoren und Erzeugungs-, Verbrauchs- und Speichereinheiten optimal zu steuern.

Das Interview wurde am 1. August 2024 geführt.

Christoph Kost

Dr. Christoph Kost ist Leiter der Abteilung Energiesystemanalyse am Fraunhofer ISE.
Er erforscht die Integration Erneuerbarer Energien in unser Energiesystem. Dazu gehören Wirtschaftlichkeitsanalysen von Energietechnologien, Aktionspläne und Implementierungsstrategien für den Zubau von Erneuerbaren, sowie auch Politikanalysen und Empfehlungen.

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