Im Rahmen eines Forschungsprojekts hat Dr. Sven Killinger ein Prognosemodell entwickelt, mit dem Netzbetreibern in Echtzeit Daten zur Leistung von PV-Anlagen zur Verfügung gestellt werden können. Wie das funktioniert, erklärt er uns im Interview.
Auf dem Cover des gerade erschienenen Jahresberichts des Fraunhofer ISE sehen wir eine Satellitenaufnahme einer Stadt, darüber scheinbar wahllos verteilt verschiedenfarbige Kreise in unterschiedlichen Größen. Beim genaueren Hinschauen wird schnell klar, dass hier das Stadtzentrum von Freiburg im Breisgau zu sehen ist, doch was genau steckt hinter den bunten Kreisen? Um das herauszufinden, haben wir mit Dr. Sven Killinger, Wissenschaftler aus der Abteilung »Intelligente Netze« am Fraunhofer ISE gesprochen.
Innovation4E:
Herr Killinger, das Motiv des Jahresberichts ist im Rahmen eines Forschungsprojekts entstanden, an dem Sie gearbeitet haben. Bitte beschreiben Sie uns, worum es beim Projekt ging.
Sven Killinger:
Das Projekt haben wir begleitend zu meiner Dissertation mit dem Übertragungsnetzbetreiber TransnetBW durchgeführt. Ziel war es, ein anlagenscharfes Hochrechnungsverfahren für Photovoltaikanlagen zu entwickeln, das verschiedene (Geo-)Informationen konsequent nutzt und damit bestehende Prognoseansätze verbessert.
Wozu braucht man Hochrechnungen oder Vorhersagen zur erwartbaren PV-Leistung?
Die Netzbetreiber haben nur von einer Minderheit der 1,7 Millionen PV-Anlagen in Deutschland kontinuierliche Messwerte. Gerade im Energiesystem der Zukunft wird durch die Kopplung der Sektoren Strom, Wärme und Verkehr das Zusammenspiel einzelner Technologien komplexer und ein hochaufgelöster Überblick zu Daten der Energiebereitstellung und -nutzung daher immer wichtiger. Durch moderne Prognosemethoden zur Ermittlung der PV-Leistung können wir Netzbetreiber unterstützen, indem wir ihnen ein Monitoring- und Steuerwerkzeug für eine sichere Netzbetriebsführung bereitstellen. Durch unseren Ansatz können die vorliegenden Messwerte genutzt werden, um damit die PV-Leistung aller Anlagen sehr genau abschätzen zu können. Auch für die wirtschaftliche Vermarktung an der Strombörse sind solche exakte Vorhersagen von großer Bedeutung.
Freiburg und der Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald liegen direkt vor der Institutstür. Haben Sie dieses Gebiet deshalb als Testregion gewählt?
Da das Netzgebiet des Projektpartners Baden-Württemberg umfasst, war eine Testregion innerhalb des Bundeslands von besonderem Interesse. Freiburg und den umliegenden Landkreis haben wir gewählt, da die Komplexität dieser Region aus wissenschaftlicher Sicht besonders herausfordernd ist. Die Topografie ist durch einen schnellen Wechsel zwischen Berg- und Tallagen geprägt. Das hat Einfluss auf die Bewölkung und die solare Einstrahlung. Gute Ergebnisse für das Testgebiet sind daher ein starker Indikator dafür, dass sich auch in homogeneren Regionen verbesserte Resultate erzielen lassen.
Das Motiv zeigt die Stadt Freiburg und den Standort der PV-Anlagen. Was sagen uns Farbgebung und Größe der Kreise?
Die Kreisgröße bildet die installierte Leistung der Anlagen ab. Die Farbgebung orientiert sich am Neigungswinkel der Anlagen, den wir über einen GIS-basierten Ansatz ermittelt haben. Dabei wird deutlich, dass größere Anlagen oft einen ähnlichen, eher kleineren Neigungswinkel haben. Das sind typischerweise Anlagen auf Industriegebäuden, die meist flache(re) Dächer haben. Kleinere PV-Anlagen auf Wohnhäusern hingegen zeigen heterogenere Neigungswinkel. Die Varianzen bei Größe, Neigungswinkel und auch bei der Ausrichtung führen dazu, dass die Anlagen im Tagesverlauf unterschiedliche Mengen Strom erzeugen.
Video: Das Prognosemodell kurz erklärt
Seit Beginn der 2000er Jahre wurden verstärkt PV-Anlagen auf Privat- und Gewerbegebäuden installiert. Somit sollten einigermaßen aktuelle und akkurate Daten zu den vorhandenen Anlagen vorliegen. Auf welche Quellen konnten Sie bei der Recherche zurückgreifen?
Hierbei muss man zwischen den verschiedenen Daten differenzieren. Kontinuierliche Messwerte der einzelnen Anlagen gibt es – wie eingangs erwähnt – nur begrenzt. Daher nutzen wir Hochrechnungsverfahren quasi zur Ersatzwertbildung, um zu allen Anlagen Leistungsdaten zu haben. Um wiederum die Anlagen möglichst gut im Modell zu berücksichtigen, benötigen wir wichtige Anlagenparameter wie den Neigungs- und Azimutwinkel. Diese sind allerdings ebenfalls unbekannt.
Wie konnten Sie diese wichtigen Anlagenparameter dann ermitteln?
Die große Herausforderung bestand darin, mit einem automatisierten Ansatz alle PV-Anlagen in der Testregion zu lokalisieren und deren Anlagenparameter herauszufinden. Hierfür wurden die Anschriften aus dem Anlagenregister zunächst in Geo-Koordinaten überführt und der genaue Standort anhand digitaler, öffentlich zugänglicher Daten von OpenStreetMap und verschiedenen Landesämtern ermittelt. Daraus konnte dann letztlich der Ausrichtungs- und Neigungswinkel jeder Anlage abgeleitet werden. Durch diese GIS-basierte Methodik konnten 95% der PV-Anlagen in der Testregion lokalisiert und parametriert werden. Sonderfälle stellten hierbei PV-Anlagen ohne genaue Anschrift sowie Flachdachanlagen dar, für die wir auf statistische Verfahren zurückgegriffen haben.
Als Basis für das Hochrechnungsverfahren wurden Referenzanlagen ausgewählt, für die bereits Leistungsdaten vorliegen. Wie können hieraus Rückschlüsse für eine große Anzahl weiterer PV-Anlagen abgeleitet werden?
PV-Anlagen sind ganz gute »Wetterstationen« für die eintreffende Solarstrahlung, da die von ihnen produzierte Leistung maßgeblich davon abhängt. Diese Strahlungsinformationen können aus der gemessenen Leistung ermittelt und anschließend genutzt werden, um alle übrigen Anlagen abzuschätzen. Voraussetzung hierfür ist, dass der Abstand zwischen den Anlagen nicht zu groß und die Messwerte repräsentativ sind. Um die Repräsentativität sicherzustellen, wurden Qualitätskontrollen für die Messwerte und Tuning-Verfahren entwickelt, welche eine wiederkehrende Verschattung durch Bäume oder andere Objekte ausgleichen. Erst dann wurden die Informationen aus allen 45 PV-Anlagen kombiniert, für das ganze Gebiet flächig interpoliert und damit die Leistung von über 9.000 PV-Anlagen in der Region simuliert. Hierbei wurden auch die mit dem GIS-basierten Ansatz ermittelten Winkelangaben berücksichtigt.
Welcher Zeithorizont wird mit dem Hochrechnungsverfahren adressiert? Ist es auch in der Lage, die nächsten Stunden zu prognostizieren?
In erster Linie zielt unser auf Messdaten basierendes Verfahren darauf ab, dem Netzbetreiber in Echtzeit Leistungsdaten für sein Gebiet zur Verfügung zu stellen. Hierbei können übrigens auch Strahlungsdaten aus Satellitenbildern einbezogen werden, um die Datengrundlage aufzuwerten. Vorausgesetzt, die Bewölkungssituation bleibt ähnlich, kann man für die nächsten 30 bis 60 Minuten noch relativ gute Ergebnisse erzielen. Für längere Zeithorizonte (mehrere Stunden bis Tage) beziehen wir dann jedoch Prognosen von Wettermodellen ein.
Ist das Verfahren auch in beliebigen anderen Regionen anwendbar?
Ja, die verwendete Datengrundlage ist deutschlandweit und in vielen Teilen der Welt verfügbar. Darauf haben wir bei der Konzeption großen Wert gelegt. Dadurch lassen sich die entwickelten Ansätze sehr gut übertragen. Aktuelle, digital verfügbare Daten wie 3-D-Stadtmodelle können den Einsatz des Verfahrens weiter erleichtern und gleichzeitig zu noch genaueren Ergebnissen führen.
Beitragsmotiv:
© Kartenmaterial: Stadt Freiburg i. Br. – Vermessungsamt, „dl-de/by-2-0“, www.govdata.de/dl-de/by-2-0, Bearbeitung: Fraunhofer ISE
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