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Ist die Energiewende nachhaltig umsetzbar?

Mehr Windenergie, der Einsatz von Wasserstoff als stofflicher Energieträger und vor allem der Photovoltaikausbau sind wesentliche Säulen, um die Vorgabe des Pariser Klimaabkommens zu erfüllen, die Erderwärmung auf möglichst unter 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Doch wie nachhaltig ist die Implementierung dieser neuen Technologien? Wie können wir nicht nur die Energiewende voranbringen, sondern sie auch »nachhaltig« umsetzen? Und was verstehen wir dabei eigentlich unter »Nachhaltigkeit«? Dies sind Fragen, die mich persönlich, aber auch als Institutsleiter des Fraunhofer ISE, stark umtreiben.

Aus diesem Grund habe ich mir anlässlich meines 60. Geburtstags dazu einen kritischen Austausch mit langjährigen Weggefährtinnen und Weggefährten sowie Vertreterinnen und Vertretern aus Wissenschaft, Wirtschaft und Sozialwissenschaften gewünscht. Wir haben ein Konzept für ein Symposium mit dem Titel »Ist die Energiewende nachhaltig umsetzbar?« entwickelt. Es fand dann im April 2022 statt, zu einem Zeitpunkt also, da die aktuelle geopolitische Lage und die medial diskutierte Gefahr ernsthafter Versorgungsengpässe uns noch verstärkt vor Augen führte, wie dringlich der Umbau des Energiesystems ist.

Am Fraunhofer ISE haben wir uns zu einem sehr frühen Zeitpunkt das Ziel gesetzt, auf eine Energieversorgung hinzuarbeiten, die ohne fossile Brennstoffe auskommt. In den 80er Jahren mag dies für viele Menschen noch wie eine realitätsfremde Utopie geklungen haben, heute ist die Einsicht in diese Notwendigkeit längst konsensfähig geworden. Zeitgleich mit der Kritik an Atomkraft und ihren verheerenden Folgen im Falle eines GAUs, aber auch in Hinblick auf die Frage der atomaren Endlagerung, thematisierte der Brundtland-Report 1987 unter dem Titel »Our Common Future« die Grenzen des Wachstums. Damit ergaben sich schon damals Fragestellungen, die über rein technologische Fragen hinausgingen und die Wirtschaftswissenschaften ebenso betreffen wie die Sozialwissenschaften – ein Ansatz, der mich auch heute beschäftigt, gerade, wenn es um das Thema Nachhaltigkeit geht.


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Was bedeutet »nachhaltig« – der Versuch einer Annäherung

Prof. Dr. Daniela Kleinschmit, Prorektorin der Universität Freiburg, machte in ihrem Impulsvortrag auf der Veranstaltung deutlich, dass die Forstwirtschaft den Begriff der Nachhaltigkeit seit mehr als 300 Jahren kennt und damit Folgendes meint: Was man dem Wald nimmt, das muss man nachpflanzen. In den 60er und 70er Jahren wurde dieser Ansatz vor dem Hintergrund immer deutlicher zutage tretender Umweltschäden und später auch unter dem Aspekt der sozialen Gerechtigkeit aufgegriffen. Der besagte Brundtland-Report schließlich spricht erstmals von einer »nachhaltigen Entwicklung«, die die Bedürfnisse der Gegenwart ebenso zu berücksichtigen habe, wie diejenigen künftiger Generationen – ein Meilenstein, der sich mit der UN-Konferenz von Rio 1992 und 2002 mit der Institutionalisierung des Begriffs Nachhaltigkeit in Johannesburg fortsetzen sollte. 2016 schließlich wurden die 17 »Sustainable Development Goals« (SDG) von den Vereinten Nationen definiert und verabschiedet.

Zwischen Ökologie und Ökonomie – saubere und bezahlbare Energie

Eines dieser SDG lautet »bezahlbare und saubere Energie« – und führt uns per definitionem zur Gretchenfrage der künftigen Energieversorgung. So verwies Prof. Marc Oliver Bettzüge, Ökonom an der Universität Köln und Mitglied im Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung, darauf, dass eben der Bezug zur Forstwirtschaft einen ökonomischen Ursprung des Begriffs verrät: Die Entnahme aus einem Bestand – also die »Ernte« – sei demnach dann nachhaltig, wenn der Bestand trotz regelmäßiger Ernte dauerhaft aufrechterhalten wird. Die jeweilige Erntemenge dürfe dabei den natürlichen Zuwachs nicht überschreiten. In diesem Fall würden also die entnommenen Ressourcen periodengerecht durch natürliche Prozesse »erneuert« bzw. seien in diesem wörtlichen Sinne »erneuerbar«. Ein kontinuierliches Wachstum einer so definierten »nachhaltigen« Ernte sehe sich regelmäßig natürlichen Grenzen ausgesetzt, so Bettzüge.

Die seit etwa fünf Jahrzehnten in Mode gekommene Übertragung des ursprünglichen Begriffs der »Nachhaltigkeit« auf extraktive Gesellschaften – wie die heutige Weltwirtschaft – sei, so Bettzüge, nur mit erheblichen semantischen Klimmzügen möglich. Denn im herrschenden Wirtschaftsmodell würden die entnommenen Rohstoffe zu einem sehr großen Anteil eben nicht ersetzt bzw. »erneuert«. Extraktive Gesellschaften hätten, so Bettzüge, für einen gewissen Zeitraum ein deutlich höheres Wachstumspotenzial als Gesellschaften, die sich ausschließlich auf »nachhaltige« Prozesse im ursprünglichen Wortsinn stützen. In der Tat korreliere das beobachtete wirtschaftliche Wachstum der Weltwirtschaft mit einem Wachstum der Ressourcenextraktion, sowohl von energetischen als auch von nichtenergetischen Rohstoffen. Dieser Vorgang habe nach dem Zweiten Weltkrieg eine enorme Beschleunigung zunächst vor allem im »Westen« erfahren. Seit den 1980er Jahren habe sich die entsprechende Dynamik dann in den asiatischen Raum verlagert. Gleichzeitig rücke das mögliche Ende des durch Extraktion ermöglichten Wachstumspfads der Menschheit zunehmend ins Blickfeld des öffentlichen Bewusstseins.

Podiumsdiskussion »Ist die Energiewende nachhaltig umsetzbar?«
Podiumsdiskussion »Ist die Energiewende nachhaltig umsetzbar?«. © Fraunhofer ISE

Auch die Bezeichnung von Strom aus Wind- und Solaranlagen als »erneuerbar« – und somit »nachhaltig« – stellt für Prof. Bettzüge eine potenziell irreführende Begriffsverschiebung dar. Dabei nämlich unterschätze man oft folgenden Faktor: Die Herstellung, die Wartung und der Rückbau dieser Anlagen könne bislang nur als Fortsetzung extraktiver industrieller Prozesse beobachtet werden. Ein Solarmodul oder eine Windkraftanlage seien daher eben nur theoretisch – sprich: nur in Bezug auf eine stark aggregierte Energiebilanz –, nicht aber praktisch oder gar materiell »erneuerbar«. Für die künftige Entwicklung der Menschheit sei es daher von entscheidender Bedeutung, in welchem Umfang die Rohstoff- und Energiebilanzen der Umwandlung von solarer Energie in Strom in Richtung tatsächlich nachhaltiger Kreisläufe verbessert werden können. Dem ISE käme in diesem Zusammenhang eine Schlüsselrolle in Forschung und Entwicklung zu.

Kreislaufwirtschaft – sozial und ressourcenschonend

Als Wissenschaftler mache ich mich seit vielen Jahren für eine nachhaltige PV-Produktion in Europa stark. So verfolgt die wirtschaftspolitische Initiative »Sustainable PV Manufacturing in Europe« die Vision einer hochtechnologischen und nachhaltigen PV-Produktion entlang der gesamtem Wertschöpfungskette. Zum einen könnte damit – ein geostrategisches Ziel – die Unabhängigkeit von Importen im Energiesektor unterstützt werden, zum anderen – ein sozialer Aspekt – hätte dies die Schaffung zahlreicher Arbeitsplätze in der High-Tech-Branche zur Folge. Diese Arbeitsplätze in Europa würden dann auch die sozialen Standards im Sinne der Nachhaltigkeit und der SDGs erfüllen. Darüber hinaus jedoch – und dieses Thema wird immer relevanter – könnten wir damit den Grundstein für eine Kreislaufwirtschaft im Sinne einer nachhaltigen Produktion legen. Dies bedeutet implizit, Lebenszyklusanalysen (Life Cycle Assessment, LCA), Lieferkettensicherheiten und Fragen der Herstellbedingungen endlich in adäquater Weise in Forschung und Praxis zu verankern.

Unstrittig ist, dass sich bereits Technologien – wie etwa die Konzentrator-PV und die Tandem-PV – in der Forschung befinden, die dank ihres hohen Wirkungsgrades auch weiterhin zu einer Kostenreduktion beitragen und dass der PV-Markt in den nächsten Jahren und Jahrzehnten stetig wachsen wird: Energiewende-Szenarien prognostizieren, dass bis 2050 ca. 60 Terrawatt PV-Leistung installiert sein werden. Das bedeutet, dass ca. 300.000 km2 Fläche für den Zubau benötigt würden und ungefähr 3.000.000.000 Tonnen Material benötigt wird. Auch wenn die Lebensdauer von PV-Modulen auf über 30 Jahre ansteigt, bedeutet es doch, dass wir riesige Massen zurück in den Kreislauf bringen müssen. Würden wir die Module einfach auf die Halde geben, brauchen wir große Volumina. Jeder kennt das Matterhorn in der Schweiz als markanten Berg. Würde dieser Berg mit PV-Modulen gefüllt, würden lediglich 0,2 TW Module benötigt werden. Es gibt also keine wirkliche Alternative zum Recycling. Wir dürfen nicht den gleichen Fehler machen, wie die Generation vor uns, nämlich das Problem einer späteren Entsorgung außen vor zu lassen.

Wir müssen die Wertstoffe wieder in den Kreislauf zurückführen. Und deswegen ist es eben wichtig, einerseits jetzt schon an Recycling zu denken, an Materialien, aber auch an einen hohen Wirkungsgrad.

Prof. Dr. Andreas Bett

Recycling ist nicht als Kann- sondern als Mussfaktor mitzudenken. Zudem muss uns bewusst sein, dass zur Herstellung der PV-Module der jeweils aktuelle Energiemix eingesetzt wird. Noch wird dabei auch CO2 ausgestoßen, was man berücksichtigen muss. Wir haben dazu am Fraunhofer ISE Analysen durchgeführt und aufgezeigt, dass eine PV-Produktion pro Watt in China 0,75 kgCO2 und in Europa nur 0,42 kgCO2 emittiert (für Glas-Glas-Module mit monokristallinem Silicium). Wird in Europa produziert, dann belasten wir das für die Welt noch verbleibende CO2-Budget von 800 Gigatonnen deutlich weniger. Meine Überzeugung ist daher, dass wir alle Aspekte für ein nachhaltiges Energiesystem vorausschauend betrachten sollten – es ist dann durchaus möglich, dies auch zu realisieren. Letztlich geht es aber darum, dass die Energiewende auch global nachhaltig umgesetzt wird.

Die Energiewende als Materialwende – und Denkwende

Gerade aber das Stichwort einer »globalen Lösung« stellt uns vor viele neue Herausforderungen. So beschäftigt sich Prof. Möllendorf von der Universität Frankfurt insbesondere mit Klimagerechtigkeit und Armut. Er stellt fest, dass die aktuelle Debatte einen Konflikt offenbart zwischen einerseits der Pflicht, die Lebensgrundlage der künftigen Generationen zu erhalten – so vor allem von der westlichen Welt formuliert – und anderseits jener Pflicht, der gegenwärtig von Armut betroffenen Regionen entgegenzuwirken. Zu bedenken ist in diesem Zusammenhang auch, unter welchen Bedingungen Rohstoffe wie z.B. Lithium oder Kobalt gewonnen werden – hier gilt es zweifelsohne klare Maßstäbe zu formulieren und Probleme nicht »outzusourcen« – wie auch Prof. Dr. Kleinschmit anmahnte.

Was die Recyclebarkeit bestimmter Materialen angeht, wies Prof. Bettzüge darauf hin, dass Recycling immer auch mit einem Energieaufwand verbunden sei, beispielsweise für Transportprozesse oder Schmelzverfahren. Diese Energie aber stamme in der Regel aktuell aus fossilen Energiequellen. Rechnet man hinzu, dass bestimmte Materialien, wie etwa Lithium nur sehr aufwändig recyclebar sind, wird deutlich, dass die Forschung künftig verstärkt an neuen Materialen und Technologien arbeiten muss, die Energiewende also auch eine »Materialwende« sein muss, wie Prof. Dr. Anke Weidenkaff, Leiterin Fraunhofer-Einrichtung für Wertstoffkreisläufe und Ressourcenstrategie IWKS postulierte. Die Wissenschaft muss sich zudem darüber im Klaren werden, dass dies alles nicht nur technische und ökonomische Fragen sind, sondern solche, die in Gesellschaft und Politik hineinreichen, wie Prof. Dr. Jan-Christoph Goldschmidt von der Universität Marburg betonte, der sich als Wissenschaftler intensiv mit neuartigen Solarzellenkonzepten befasst.

Wenn man sich das Thema der Verteilungs- und Interessenkonflikte genauer besieht, müssen wir uns daher in Zukunft mit der – zugegebenermaßen – unbequemen Frage beschäftigen, ob es mit rein technologischen Lösungen getan ist, oder ob nicht darüber hinaus unser eigenes Umdenken der erste Schritt sein muss: Wenn wir uns eine Akzeptanz der Energiewende auch im asiatischen Raum oder dem globalen Süden wünschen und zugleich das Konzept der planetaren Grenzen wirklich ernst nehmen, dann bedeutet das im Umkehrschluss unsere eigenen alten Denkmuster zu verlassen, Gewohnheiten zu hinterfragen und persönliche Ansprüche an den eigenen Lebensstandard kritisch zu überdenken – ein Thema, das jeden Einzelnen und jede Einzelne von uns unmittelbar angeht.

Nachhaltigkeit in der Strategie des Fraunhofer ISE

Am Fraunhofer ISE haben wir uns dazu entschieden, das Thema Nachhaltigkeit nicht nur in Bezug auf unsere Forschungsprojekte und deren FuE-Prozesse und Materialaufwendungen mitzudenken, sondern es zu einem grundlegenden Bestandteil unserer Institutsstrategie und unseres eigenen Institutsbetriebs zu machen. Deshalb haben wir drei Zeithorizonte und Zielvorgaben für das Institut definiert, die es ermöglichen, unsere Mission und unsere Leitsätze auf operativer Ebene zu konkretisieren und unser Leistungsportfolio anzupassen. Künftig wollen wir noch stärker Fragen der Nachhaltigkeit und der geschlossenen Rohstoffkreisläufe in den Mittelpunkt unserer Forschungs- und Entwicklungsarbeit stellen. Damit tragen wir unserer Überzeugung Rechnung, dass eine solche konsequent transdisziplinär ausgerichtete Nachhaltigkeitsstrategie nach der Kostensenkung und Skalierung der erneuerbaren Energiegewinnung sowie der strukturellen Ausgestaltung eines dezentralen Energiesystems die nächste Kernaufgabe für Forschung, Wirtschaft und Politik ist.

Weiterlesen:

Nachhaltigkeitsbericht des Fraunhofer ISE

Headerfoto: © shutterstock.com / Oleksandr Yakoniuk

Andreas Bett

Prof. Dr. Andreas Bett ist einer der beiden Institutsleiter
des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE

Andreas Bett hat an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg sowohl das Diplom in Mathematik als auch Physik erworben. Er promovierte 1992 in Physik an der Universität Konstanz und ist seit 1987 Mitglied des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg. Seit 2020 ist er außerdem Professor für »Solare Energie – Materialien und Technologien« an der Fakultät für Mathematik und Physik der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Seine Hauptarbeitsgebiete sind Silicium- und III-V Materialien für Solarzellen, sowie die Herstellung und Charakterisierung von Solarzellen.

1 Kommentar

  • sehr guter Artikel. die Fakten sind auch der PR-Industrie der nuklear Energie bekannt und werden in den kommenden Monaten und Jahren sicherlich deutlicher in den Medien präsent sein. was in dem Artikel leider nicht erwähnt wird, ist die durch erneuerbare Energie in der Zukunft hervorgerufene soziale Spaltung auch innerhalb Deutschlands. Stichwort Richmond producer pur Umweltsünder

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