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Forschungsprojekt »OVRTuere« - Wie sichert und verbessert man die Stabilität im Stromnetz?

Forschungsprojekt »OVRTuere« – Wie sichert und verbessert man die Stabilität im Stromnetz?

Die Stabilität der Stromnetze ist für Gesellschaft und Wirtschaft von zentraler Wichtigkeit. Ein Thema, das dabei neu in den Fokus der Netzbetreiber rückt, sind zeitweilige Überspannungsereignisse im Netz, deren Bedeutung erst allmählich erkannt wird. Diese können z.B. als Folgefehler nach einem Kurzschluss im Netz auftreten, wenn dieser zu Verlust von Einspeiseleistung oder zu Lastabwurf, also zur Abschaltung von einzelnen Generatoren und Verbrauchern, geführt hat. Die Gefährdungslage durch Überspannungsereignisse ist zwar nicht neu, das Problem kann sich aber durch die zunehmende Dezentralität der Stromversorgung verkomplizieren. Wie kritisch Überspannungsereignisse sind und wie häufig sie tatsächlich auftreten, ist derzeit noch nicht ausreichend geklärt. Um rechtzeitig gewappnet zu sein, fordern dennoch erste nationale und internationale Netzanschlussrichtlinien inzwischen eine Überspannungsfähigkeit von ans Stromnetz angeschlossenen Großverbrauchern und Erzeugungsanlagen aller Art – konventionelle Kraftwerke sind davon genauso betroffen wie Blockheizkraftwerke, Photovoltaikanlagen oder Windräder.

Multimegawatt-Labor des Fraunhofer ISE
Im neuen Multi-Megawatt Lab des Fraunhofer ISE können Netzsimulationen in der Größenordnung einer Kleinstadt durchgeführt werden. ©Fraunhofer ISE

Die in diesen Richtlinien festgelegten Anforderungen zu Überspannungen basieren auf Annahmen und Abschätzungen. Bisher fehlte jedoch eine umfassende Analyse der technischen Ursachen für kritische großräumige Überspannungen im Stromnetz. Gleichzeitig brauchen Netzbetreiber und Hersteller von Erzeugungsanlagen ein klares Konzept, welche Anforderungen zu entwickeln sind. Um  die Wettbewerbsfähigkeit von deutschen Anlagenherstellern zu verbessern, muss hier Gewissheit geschaffen werden. Daher wurde das Forschungsvorhaben »OVRTuere (Over Voltage Ride Through – Zeitweilige Überspannungen und abgeleitete Regeln für einen effizienten und sicheren Netzbetrieb)« im November 2018 ins Leben gerufen. Finanziert wird das Projekt durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) unter dem Förderschwerpunkt »Netze für die Stromversorgung der Zukunft« im Rahmen des 6. Energieforschungsprogramms der Bundesregierung. Wir haben als Fraunhofer ISE die Projektleitung im Projektverbund mit den Unternehmen M.P.E. GmbH, FGH GmbH, FGH e.V. und Autarsys GmbH übernommen.

Was wollen wir in dem Projekt erreichen?

Um die Stabilität im Stromnetz zu sichern und zu verbessern und die Netze schlussendlich fit zu machen für den Einsatz von 100% Erneuerbaren Energien, bedarf es konkreter Etappenziele. Diese werden mit den beteiligten Projektpartnern zusammen erarbeitet:

  • Zuerst müssen das Ausmaß, die Höhe sowie die Relevanz von Überspannungsereignissen besser verstanden werden. Das auf die Netzintegration von Erneuerbaren Energien spezialisierte Ingenieurbüro M.P.E. GmbH und die gemeinnützige Forschungsgemeinschaft für elektrische Anlagen und Stromwirtschaft FGH e.V. ermitteln und analysieren Netzsituationen, die zu zeitweiligen Überspannungen in Übertragungs- und Verteilnetzen führen. Anschließend werden verschiedene Maßnahmen zum Umgang mit Überspannungsereignissen untersucht. Besonderes Augenmerk wird dabei auf Batterieumrichter gelegt, da es bei gängigen Produkten durch netzseitige Überspannung systembedingt zu unkontrollierten Rückspeisungen in die Batterie kommen kann, die eine Zerstörung der Geräte nach sich ziehen können. Dies ist besonders relevant, da über Umrichter ans Stromnetz angeschlossene Batteriesysteme im Zuge der Speicherintegration eine Schlüsselrolle im Energiesystem der Zukunft einnehmen werden. Fraunhofer ISE und Autarsys GmbH (Hersteller von Batteriespeichersystemen) entwickeln und testen hierfür einen Demonstrator für überspannungsfeste Batterieumrichter.
  • M.P.E. GmbH und FGH e.V. legen für die Erzeugungsanlagen und Verbraucher geeignete und kostenoptimierte Anforderungen an Überspannungsfestigkeit fest.
  • Fraunhofer ISE und FGH GmbH als für die Entwicklung von Prüfsystemen zuständige Ausgliederung des FGH e.V. befassen sich mit folgendem weiteren Schwerpunkt: Verschiedene Prüfeinrichtungen für zeitweilige Überspannungen sollen entwickelt und untersucht werden. Mit diesen Prüfeinrichtungen soll das Überspannungsverhalten von Erzeugungsanlagen getestet werden können.
  • Verschiedene Erzeugungsanlagen wie Photovoltaik-Wechselrichter, Windkraftanlagen und Batterieumrichter werden mit diesen Überspannungs-Prüfeinrichtungen getestet und ihr Überspannungsverhalten verbessert. Fraunhofer ISE und FGH GmbH sind dafür verantwortlich.

Wie reagieren Generatoren und Wechselrichter auf Überspannungsereignisse?

Das Projekt läuft seit November 2018 über 3 Jahre bis Oktober 2021. Wir konnten bereits erste Projekterfolge erzielen. So haben wir für das neue Multi-Megawatt Lab des Fraunhofer ISE eine OVRT-Prüfeinrichtung nach dem Schwingkreis-Prinzip ausgelegt, installiert und in Betrieb genommen. Zusammen mit einem Megawatt-Netzsimulator haben wir nun die Möglichkeit, Generatoren, Wechselrichter und andere Komponenten mit verschiedenen Prüfumgebungen bezüglich ihres Überspannungsverhaltens zu charakterisieren. Mit unseren Prüfeinrichtungen und Netzsimulatoren können wir dabei verschiedenartige kritische Situationen im Stromnetz nachbilden.

Zudem konnte das Projektteam weitere Zwischenziele erreichen, die zum besseren Verständnis des komplexen Themas Überspannungen im Netz beitragen. So konnten wir simulativ bereits nachweisen, dass dynamische Netzstützung durch angeschlossene Wechselrichter und Generatoren die Spannungsstabilität im Überspannungsfall erhöht. In Zusammenarbeit mit den beteiligten Partnern und dem unterstützenden Industriekonsortium konnten außerdem Erkenntnisse gesammelt werden, welche Bauteile von Wechselrichtern und anderen Betriebsmitteln bei Überspannungen besonders gefährdet sind. Auf dieser Basis wurde ein erster Ansatz für eine Kostenfunktion für die Überspannungsfähigkeit dieser Geräte entwickelt.

In den nächsten Projektphasen wollen wir messtechnische Aktivitäten wieder mehr in den Vordergrund rücken – geplant sind insbesondere umfangreiche OVRT-Messungen im Multi-Megawatt Lab.

Prüfeinrichtung im Multimegawattlabor
Die neu aufgebaute Prüfeinrichtung im Multi-Megawatt Lab kann Überspannungsereignisse nach dem Schwingkreis-Prinzip nachbilden.©Fraunhofer ISE

Welche weiteren Partner arbeiten im Projekt mit?

  • TransnetBW GmbH (Übertragungsnetzbetreiber)
  • TenneT TSO GmbH (Übertragungsnetzbetreiber)
  • Innogy SE (Verteilnetzbetreiber)
  • Maschinenfabrik Reinhausen GmbH (Hersteller von Batterieumrichtern u.a.)
  • KOSTAL Industrie Elektrik GmbH (Hersteller von PV-Wechselrichtern u.a.)
  • Enercon GmbH (Windkraftanlagenhersteller)
  • Senvion wind energy solutions S.A. (Windkraftanlagenhersteller)
  • MTU onsite energy (Hersteller von Diesel-und Gasaggregaten)
  • Woodward GmbH (Anbieter von Motorsteuerungen und Netzschutzeinrichtungen)
  • ABB Switzerland Ltd (Anbieter von Spannungsreglern für Synchrongeneratoren)
  • Starkstrom-Gerätebau GmbH (Hersteller von Leistungstransformatoren)

Weitere Informationen zu diesem Thema


Arbeitsgebiet »Wechselrichter in Netzen«
TestLab Power Electronics

Robin Grab

Robin Grab arbeitet seit 2010 am Fraunhofer ISE in der Abteilung „Wechselrichter in Netzen“.

Zuvor hat er am Karlsruher Institut für Technologie Elektrotechnik mit der Vertiefungsrichtung „Regenerative Energiesysteme“ studiert. Seine inhaltlichen Schwerpunkte sind die Systemtechnik von Photovoltaiksystemen sowie die Integration von Solarenergie und anderen Formen von erneuerbaren Energien in die Stromnetze.

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